Veröffentlichtlichung in Neue Justiz 12/1993:
Gerechte Ausgleichsleistungen mittels "Coupon"-Regelung?
Steffen Siewert, wiss. Mitarbeiter, Humboldt- Universität zu Berlin
1. Ausgangslage
Mit Art. 41 Abs. 1 und der Anl. 111 Nr. 1 des EinigungsV, den Bestimmungen in Art. 79 Abs. 3 und Art. 143 Abs. 3 GG sowie § 1 Abs. 8 a VermG wurden die zwischen 1945 und 1949 auf besatzungsrechtlicher bzw. -hoheitlicher Grundlage Enteigneten von der Restitution ihres ehemaligen Eigentums nach dem VermG ausgenommen. Dies betraf vor allem jene, die ihr Eigentum im Zuge der Bodenreform verloren hatten. Der Gesetzgeber legte fest, daß eine Ausgleichsregelung für diesen Personenkreis geschaffen werden soll. Bereits zuvor wurden von der ersten frei gewählten Volkskammer die Enteignungen der Zeit von 1945 bis 1949 schon aus dem Geltungsbereich der AnmeldeVO vom 11.7.1990 (§ 1 Abs. 5 a der VO) herausgenommen. Gegen die Bestimmungen im Einigungsvertrag wurde das BVerfG angerufen, das mit Urteil vom 23.4.19911 die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses der Rückübertragung von Bodenreformland an die damals enteigneten Eigentümer bekräftigte.
Bis heute gibt es immer wieder Versuche, das Urteil anzuzweifeln bzw. generell in Frage zu stellen. Dies belegt ein Beschluß des BVerfG vom 15.4.1993,1 worin sich das Gericht nochmals mit einer Verfassungsbeschwerde eines durch die Bodenreform enteigneten Alteigentümers befassen mußte. Der Beschwerdeführer machte außer einem Restitutionsanspruch geltend, er habe ein verfassungsmäßiges Recht auf eine künftige Rückkaulmöglichkeit, wenn er sein ehemaliges Eigentum schon nicht zurückerhalten sollte. Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde als unzulässig ab. Es betonte, daß an dem Urteil vom 23.4.1991 festgehalten werde und eine Rückgabe der enteigneten Objekte in Natur nicht geboten sei. Der Beschwerdeführer habe auch keine verfassungsrechtliche Anwartschaft auf Schaffung einer Rückerwerbsmöglichkeit im Rahmen der vom Gesetzgeber noch zu treffenden Ausgleichsregelung.
Nunmehr gibt es erste konkrete Vorstellungen, wie die Ausgleichsleistungen als Bestandteil des noch zu verabschiedenden Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes (EALG) geregelt werden könnten. Im Regierungsentwurf vom April 19931 ist in Art. 2 § 2 Abs. 1 iVm § 3 des EALG noch die Rede davon, diese Ausgleichsleistungen bei Immobilien durch Geldzahlung zu erbringen. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Höhe der Ausgleichsleistungen sowie der Frage ihrer Finanzierbarkeit zu. Jüngsten Informationen zufolge soll nach der Anhörung zum EALG im Finanzausschuß des Bundestages nunmehr aber ein sog. Coupon-Modell auch für die zwischen 1945 und 1949 enteigneten Personen erarbeitet worden sein.' Dieses "Coupon-Modell sieht vor, daß die Alteigentümer Ausgleichszertifikate erhalten, die ihnen beim Erwerb von Grundstücken Vorrang einräumen. Es scheint dabei ungeachtet des jüngsten Beschlusses des BVerfG vor allem ein "Ausgleich in Natur" favorisiert zu werden, nach dem die durch die Bodenreform Enteigneten einen Großteil ihres ehemaligen Eigentums zurückerhalten sollen.
2. Einwände gegen ein "Coupon-Modell
Den in der Zeit von 1945 und 1949 Enteigneten kann aber aus mehreren Gründen kein gesetzlich normiertes Rückgaberecht in Form eines Ausgleichsanspruches zugestanden werden. Die Formulierung "Ausgleich in Natur" ist bereits ein Widerspruch in sich. Ausgleichsleistungen können schon nach dem Wortlaut "Ausgleich" keine Rückführungen in natura sein, sondern nur eine Form der Wiedergutmachung durch Einsatz von Ersatzleistungen, bei denen notwendigerweise ein gewisses "Minus" gegenüber der Situation vor der Enteignung bzw. heutigen Werten im Ergebnis entstehen wird. Denn Hauptzweck der Ausgleichsleistungen soll der "sozialverträgliche Ausgleich unterschiedlicher Interessen zum Zwecke der dauerhaften Sicherung des Rechtsfriedens in Deutschland sein.
Die Wiederherstellung der damaligen Eigentumsverhältnisse läßt sich jedenfalls nicht über einen solchen Ausgleich vollziehen, da dieser primär einer Wiedergutmachung für die von 1945 bis 1949 vollzogenen Enteignungen dienen soll, wobei aber lt. den o. g. Dokumenten und lt. Urteil des BVerfG deren Resultate nicht in Frage gestellt werden können. Auch die Regelung des EinigungsV in Art. 41 Abs. 3 ist eindeutig: keine Rückgängigmachung, in welcher Form auch immer, auch nicht über Umwege.
Einem "Ausgleich in Natur" durch (Teil-)Rückgabe stehen sowohl der gemeinsame Brief der beiden deutschen Außenminister vom 12.9.1990 als auch die Gemeinsame Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15.6.1990'entgegen, worin ausdrücklich betont wird, daß die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzunghoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen sind. In ihrer Denkschrift zum Einigungsvertrag 9 stellt die Bundesregierung fest, daß der Inhalt dieser Erklärung rechtsverbindlichen Charakter trägt und Bestandteil des Einigungsvertrages geworden ist. Das gesamtdeutsche Parlament hat nach dem Wortlaut dieser Dokumente über einen Ausgleich zu entscheiden, der als logische Folge der damaligen Erklärungen keine wie auch immer genannte direkte oder anders organisierte Rückgabe an die damals Enteigneten sein kann.
Ferner ist zu beachten, daß durch einen normierten Rückgabeanspruch unter dem Namen "Ausgleich in Natur" das Urteil des BVerfG vom 23.4.1991 unterlaufen werden würde. Das BVerfG formuliert, daß zur Wiedergutmachung der Enteignungen von 1945 bis 1949 durch den Gesetzgeber eine Ausgleichsregelung geschaffen werden soll. Die damals vorgenommenen Maßnahmen der Besatzungsmacht sollen nicht rückgängig gemacht werden. Eine wie auch immer gestaltete Wiederherstellung der früheren Eigentumsverhältnisse war schon aufgrund völkerrechtlicher Gesichtspunkte abzulehnen, da die Garantie der Unantastbarkeit der Resultate der besatzungshoheitlichen und besatzungsrechtlichen Enteignungsmaßnahmen aus der Sicht der Bundesregierung eine entscheidende Voraussetzung für die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands war. Das BVerfG führt ferner aus, daß nach Art. 79 Abs. 3 GG eine Wiedergutmachung durch Rückgabe in Natur nicht geboten sei. Da die Wiedergutmachung für das damals geschehene Unrecht seine Wurzeln im Rechts- -und Sozialstaatsprinzip habe, könne der Gesetzgeber unter Beachtung dieser Prinzipien die Folgen der Enteignungen auch in einer Form bereinigen, die nicht auf eine Rückgabe hinausläuft. Dem widerspreche auch nicht die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie.
Das Gericht verweist weiter darauf, daß sich aus dem Umstand, daß sich ein Teil der enteigneten Objekte heute im Eigentum der öffentlichen Hand befindet, nichts zugunsten der ehemaligen Eigentümer herleiten lasse. Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Alteigentümer weder einen Anspruch auf eine Rückgabe der im öffentlichen Eigentum stehenden Grundstücke noch einen Anspruch auf eine bevorzugte Behandlung gegenüber anderen Interessenten haben. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch der Hinweis des Gerichts, ehemalige Eigentümer könnten nicht aufgrund der Zufälligkeit, daß gerade ihre Objekte noch (durch die öffentliche Hand - d. Verf.) verfügbar sind, eine wertmäßige Bevorzugung bei der Wiedergutmachung vor anderen Enteigneten verlangen, verständlich. Denn ein Ausgleich durch Rückgabe genau der Landflächen, die 1945 bis 1949 enteignet wurden, bzw. wertgleicher Ersatzgrundstücke, bevorzugt die dadurch Begünstigten eindeutig gegenüber denjenigen anderen ehemaligen Eigentümern, die mit einem finanziellen Ausgleich in Form einer Entschädigungszahlung vorlieb nehmen müssen, da ihre ehemaligen Grundstücke o.ä. Flächen nicht zur Verfügung stehen, weil sie z. B. heute rechtswirksam im Privateigentum eines ehemaligen Bodenreformbauern stehen.
Damit wäre an den Grundfesten des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG gerührt, denn mit der Rückgabe der konkreten Immobilien ist man finanziell und wirtschaftlich besser gestellt als mit der Entschädigung bzw. einem Ausgleich in Geld. Da die Ausgleichsform der Rückgabe in Natur also nicht in allen Fällen realisierbar ist, muß generell von ihr abgelassen werden. Auch aus Art. 143 Abs. 3 GG läßt sich nichts anderes herleiten. Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist es, nicht nur die eigentliche Rückgabe, sondern auch eine Bevorzugung der ehemaligen Grundeigentümer bei der Privatisierung gegenüber anderen Interessenten auszuschließen.
3. Lösungsvorschlag
In Betracht kommt deshalb nur eine Ausgleichsleistung in Form von Geld, das aus dem Entschädigungsfonds stammen muß. In welcher Form die Auszahlung erfolgt, ob durch Coupon-/Anteilsscheine ohne normierte Rückerwerbsoption o. ä., die auch handelbar sein können, ist dabei eine Organisationsfrage, die im wesentlichen vom finanziellen Spielraum des Staates abhängt. Mit diesem Geld können die ehemaligen Eigentümer, ohne in irgendeiner Form bevorzugt zu werden, wie jeder andere Interessent auch, Land zum aktuellen Preis von der Treuhand erwerben. Einen Anspruch auf den Erwerb genau der Flächen, die ihnen zwischen 1945 und 1949 entzogen wurden, können sie damit nicht haben. So wäre sichergestellt, daß die Grundstücke ihrem Wert entsprechend veräußert werden, indirekte Subventionierungen und weitere Verluste der öffentlichen Hand bei der Privatisierung des ehemaligen Volkseigentums können vermieden werden.
Eine bevorzugte Behandlung bei der Vergabe der nunmehr im Eigentum des Bundes bzw. der neuen Bundesländer befindlichen Grundstücke vermittels einer treuhandinternen Regelung muß unterlassen werden. Eine Zinsverbilligung für die Kaufinteressenten aus dem Kreis der damals Enteigneten sollte angesichts der momentanen kritischen Haushaltslage vermieden werden, zumal auch die übrigen landwirtschaftlichen Betriebe in den neuen Bundesländern eine solche Unterstützung nötig hätten. Eine Benachteiligung von juristischen Personen, insbesondere der Agrargenossenschaften, die als Rechtsnachfolger der ehem. LPG z. T. seit Jahrzehnten die damals enteigneten Grundstücke bewirtschaften, gegenüber den ehemaligen Eigentümern ist unzulässig. Dabei ist zu beachten, daß sich die Agrargenossenschaften am Genossenschaftsgesetz orientieren und als Eigentumsform akzeptiert werden müssen. Im Land Brandenburg sind z. B. derzeit etwa 80 % der noch verbliebenen Bäuerinnen und Bauern in Genossenschaften organisiert und somit am Arbeitsmarkt aktiv beteiligt. Der größte Teil der Agrargenossenschaften würde vor dem Ruin stehen oder müßte weitere Mitglieder oder Arbeitnehmer entlassen, wenn ihnen nicht die dringend benötigten Anbauflächen langfristig zur Verfügung gestellt, sondern bevorzugt an die alten Eigentümer zurückgegeben werden, die, als Familienbetriebe organisiert, weitaus weniger Arbeitskräfte benötigen oder gar Flächenstillegungen gegen Zahlung von EG-Prämien zugunsten ihrer Betriebe in den alten Bundesländern durchführen und damit potentielle Konkurrenz durch leistungsstarke Großbetriebe in den neuen Bundesländern ausschalten. Die Folge wäre eine noch stärkere Landflucht und Verödung weiter Gebiete.
Es gibt keine nachvollziehbaren Gründe, weshalb die Nachfolgebetriebe der ehem. LPG nur wegen ihrer Organisation der Eigentumsanteile benachteiligt werden sollen. Eine Bevorzugung der ehemaligen Eigentümer würde somit die Chancengleichheit der verschiedenen Eigentumsformen in der Landwirtschaft der neuen Bundesländer erheblich beeinträchtigen. Es würde auch zu einer Benachteiligung der ortsansässigen Landwirte führen, die sich als Neueinrichter um die zur Verfügung stehenden Flächen bewerben und gegenüber den Alteigentümern geringere Aussichten auf eine existenzfähige Bauernwirtschaft angemessener Größe haben, wenn ihr Betriebskonzept nicht besser als das des Alteigentümers ist. Für das Kriterium der Ortsansässigkeit sollte ein Stichtag festgelegt werden, beispielsweise der 3.10.1990.
Schließlich sind Ausgleichsleistungen und Entschädigungsleistungen nach einem gleichen Wertmaßstab zu berechnen. Einer unterschiedlichen Behandlung stehen mehrere Gründe entgegen. Oftmals war es nur eine Frage des Zufalls, ob eine Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage vor dem 7.10.1949 oder erst danach erfolgte, in jedem Falle wurden die Eigentümer zumeist enteignet, ohne sich mit den sonst einschlägigen Rechtsmitteln zur Wehr setzen zu können. Auch bei Enteignungen nach 1949 wurde u. U. keine Entschädigung gezahlt. Ein besonders krasses Beispiel für die zufälligen Folgen des Stichtags 7.10.1949 sind die in Berlin in verschiedenen Etappen erfolgten Enteignungen, die aus heutiger Sicht bei der Berechnung von Ausgleichs- oder Entschädigungsleistungen nicht grundlegend verschieden behandelt werden können.